Schattenfluegel by Kathrin Lange

Schattenfluegel by Kathrin Lange

Autor:Kathrin Lange [Lange, Kathrin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
ISBN: 340106794X
Herausgeber: Arena Verlag
veröffentlicht: 2012-03-05T23:00:00+00:00


Kapitel 13

Am nächsten Morgen fühlte sich Kim wie gerädert. Allein die Vorstellung, nur den kleinen Finger rühren oder gar aufstehen und in die Schule gehen zu müssen, war ihr schon zu viel. Sie fühlte sich matt und unendlich kraftlos. Alles um sie herum erschien ihr noch immer grau und farblos. Aus diesem Grund war sie heilfroh, dass sie um neun Uhr einen Termin bei Dr. Schinzel hatte und damit den Schulalltag unterbrechen konnte.

Das Behandlungszimmer wirkte heute weniger sonnig als sonst. Das war auch das Erste, was Kim dem Psychiater sagte, nachdem sie sich beide gesetzt und er seine Armbanduhr auf den Schreibtisch gelegt hatte.

»Weniger sonnig?«, wiederholte er nur.

Kim nickte. Sie legte beide Hände auf die Armlehnen des Ledersessels und versuchte, sich, so gut es ging, zu entspannen. »Liegt wahrscheinlich an meiner Freundin.«

Dr. Schinzel sah verwirrt aus, deshalb erzählte sie ihm, was mit Marie geschehen war. »Die Polizei vermutet, dass sie einfach nur abgehauen ist, weil sie das schon öfter gemacht hat.«

»Aber du glaubst nicht daran?«

Kim lauschte in sich hinein. »Ich habe Angst«, sagte sie dann.

»Wovor?«

»Davor, dass Marie das Gleiche passiert ist wie damals Nina.«

Dr. Schinzel nickte. »Verständlich. Möchtest du über Nina reden oder lieber über Marie?«

Eine Weile sprachen sie über Nina, über ihren gewaltsamen Tod – und auch über die Libelle, die der Mörder auf ihr Gesicht gelegt hatte.

Kim fühlte, wie das Thema sie auslaugte und sie das Bedürfnis bekam, über etwas anderes zu reden. »Sie wissen, dass Nina Tagebuch geschrieben hat bis kurz vor ihrem Tod«, meinte sie deshalb.

Der Psychiater schwieg.

»Erinnern Sie sich noch an das Gedicht darin?«

Noch immer antwortete Dr. Schinzel nichts. Sein Gesichtsausdruck war neutral wie immer, nur in seinen Augen konnte sie ein interessiertes Leuchten entdecken. »Erzähl mir davon!«, forderte er Kim auf, als sie nicht von sich aus weitersprach.

»Ich kann es immer noch auswendig«, sagte sie und begann, den Text aufzusagen. Die Worte taten ihr weh, aber sie schaffte es durchzuhalten, bis sie die letzte Zeile hinter sich gebracht hatte.

Dr. Schinzel saß regungslos da und lauschte dem kaum hörbaren Ticken seiner Armbanduhr. Die Stellung der Zeiger auf der Standuhr hinter seinem Rücken sah aus wie ein finsteres Grinsen, bemerkte Kim. Warum war ihr das früher nie aufgefallen?

»Liebeskummer hat Nina das Gedicht genannt«, sagte sie leise, »aber später hat sie es umbenannt. In Schattenflügel. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass das wichtig ist, aber ich komme einfach nicht darauf, warum.«

Dr. Schinzels Gesicht zeigte Bestürzung, als das Wort Schattenflügel fiel. »Die Libelle auf Ninas Gesicht«, murmelte der Arzt. »Weil der flirrende Schatten des Flügels auf mich gefallen ist …«, wiederholte er. »Schattenflügel. Ich nehme mal an, die Polizei hat sich ausgiebig mit diesem Gedicht beschäftigt, oder?«

»Weil sie vermutet haben, dass darin ein Hinweis auf Ninas Mörder versteckt sein könnte, ja.« Kim dachte an den geheimnisvollen unbekannten Freund ihrer Schwester, von dem sie immer noch nicht wussten, ob er wirklich existierte.

Zu ihrer Verblüffung stand Dr. Schinzel plötzlich auf und begann, im Zimmer umherzugehen. Das hatte er noch nie getan und mit einem Mal hatte Kim eine Gänsehaut.

»Schattenflügel«, meinte er.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.